Bestandssanieren ist der zentrale Gedanke, wenn es um Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche geht. MINT sprach darüber mit Maximilian von der Leyen, Vorstand der Allgemeine SÜDBODEN Grundbesitz AG.
Die Bau- und Immobilienbranche gehört zu den größten Umweltsündern. Was unternimmt sie dagegen?
Es ist bereits vieles in die Wege geleitet worden, um etwa Schadstoffe zu reduzieren, Ressourcen zu schützen oder Energie effizient zu nutzen. Stichworte: ESG*, Zertifizierungen, EU Taxonomieverordnung*. Umbaumaßnahmen bzw. Sanierungen im Bestand gehören dabei zu den wichtigsten Instrumenten und werden bei vielen Projekten realisiert.
Wo zum Beispiel?
Das Weiße Quartier im Münchner Osten ist ein gutes Beispiel. Wo früher der Siemens-Konzernstandort war, entsteht derzeit ein neuer Campus mit flexiblen Arbeitsplätzen und vielen grünen Ansätzen. Das Besondere ist die Weiterentwicklung eines Bestandsgebäudes. Zentraler Gedanke war oder ist: vorhandene Strukturen nutzen, also renovieren oder sanieren statt abreißen. Aus alt mach neu also. Sehr gut neu natürlich.
Warum ist das eine gute Idee?
Alles, was erhalten oder wiedereingesetzt werden kann, ist besser für die Ökologie als wegwerfen und entsorgen oder neu errichten. Auf einen anderen Bereich übertragen: lieber das alte brauchbare Auto noch weiterfahren als ein neues E-Auto anschaffen.
Sie sprachen von Zertifizierungen. Welche gibt es?
Mit der international anerkannten LEED-Zertifizierung (Leadership in Energy and Environmental Design) wird beispielsweise von unabhängigen Dritten garantiert, dass ein Gebäude auf umweltfreundliche Art gebaut und entworfen wurde. Auch die Non-Profit- und Nichtregierungsorganisation DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen), eine neutrale Instanz, eine Art TÜV, dient der transparenten Qualitätskontrolle. Um nur zwei wichtige zu nennen.
Warum sind Zertifizierungen interessant für Nutzer?
Käufer wollen heutzutage nicht mehr in Gebäude investieren, die ökologischen Ansprüchen nicht entsprechen. Zum Teil müssen sie es auch, um langfristig ESG-Kriterien erfüllen zu können. Auch weiche Faktoren spielen eine Rolle. Die Menschen wollen wieder raus aus dem Homeoffice und sehnen sich nach einem attraktiven Arbeitsplatz, zentrumsnah, kommunikativ, gesundheitsfördernd, öffentlich gut zu erreichen.
Sind alle Möglichkeiten erreicht oder könnte man noch mehr tun?
Leider gibt es hierzulande viel zu viele Normen und Regularien, die oftmals gute Ideen ausbremsen. R-Beton könnte zum Beispiel verstärkter eingesetzt werden, aber DIN-Vorschriften verlangen eine zehnfache Sicherheit. Das Doppelte würde meiner Meinung auch genügen. Zudem muss man Kosten und Nutzen abwägen. Käufer oder Mieter wollen nicht alles bezahlen, nur der Umwelt zuliebe.
Nochmals zum Weißen Quartier. Hier ist ja auch viel Neues entstanden. Was daran ist nachhaltig?
Wir haben uns viele Gedanken gemacht und starke Partner wie den Immobilienverwalter ARA Europe, der nach einer strengen Nachhaltigkeitsphilosophie handelt. Im Weißen Quartier hieß es zunächst: möglichst viel erhalten, Fassaden etwa. Bei dennoch notwendigen Abrissarbeiten wurde auf Materialien geachtet, die recycelt und wiedereingesetzt werden können. Nachhaltigkeit betrifft jedoch nicht nur ökologische Aspekte. Es geht auch um Soziales. Also fühlen sich die Menschen wohl an ihrem Arbeitsplatz. Kommen Sie gern her, haben sie Möglichkeiten zur Erholung oder Entspannung. Stimmen die Work-Life-Balance und das Gastro- und Mobilitätskonzept.
Wie sieht das im Weißen Quartier konkret aus?
Bei Neubau und Neugestaltung wurde auf natürliche Materialien geachtet – Holz beispielsweise. Das Gesamtkonzept umfasst Mosaiksteine wie hochflexible Arbeitswelten, einen vegetarischen und veganen Gastrobereich, Aufenthaltsflächen für entspannende Pausen, Bereiche für Fitness, Yoga oder Meditationen, begrünte Wege, Oasen der Ruhe und Orte der Begegnung im Außenbereich, diverse Dachterrassen mit grandiosen Aussichten auf die Alpen. Beim Mobilitätskonzept wurde auf das Fahrrad gesetzt. Es gibt sichere Stellplätze, eine sogar künstlerisch gestaltete Fahrradgarage samt Dusche und Umkleideräumen sowie Ladestationen für E-Bikes.
Ein Eyecatcher am Vorplatz ist eine Installation aus Stahl. Was steckt dahinter?
Auf die Marketing-Lounge sind wir besonders stolz. Sie ist eine Hommage an den Barcelona Pavillon von 1929 von Mies van der Rohe und wurde mit großartigen Partnern wie dem Architekt Jorge Alastuey errichtet. Menschen sollen sich hier treffen und beraten können. Zum Einsatz kamen hochwertige Materialien wie grüner Marmor, Holz und Glas. Das Originelle daran: Die Basis bildet ein alter Überseecontainer. Wir sind hier also dem Prinzip „Aus alt mach neu“ treu geblieben.
Ihr Fazit für künftige Bau- und Immobilienprojekte?
Nachhaltigkeit sollte die Maxime sein, wie auch in allen anderen Bereichen. Wichtig wäre es, die Zulassung zu vereinfachen. Dann wäre noch vieles möglich.
*ESG: Environmental Social Governance, Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, bezeichnet die Evaluierung der unternehmerischen Sozialverantwortung, also nicht-finanzieller Faktoren.
*EU Taxonomieverordnung: legt fest, dass nur jene Wirtschaftstätigkeiten grün sind, die einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Umweltziele leisten und zugleich andere Umweltziele nicht erheblich beeinträchtigen.
Bilder: © SÜDBODEN/TMC
Weitere Stimmen zum Thema Nachhaltig Bauen:
Michael Dax, Architekt und Nachhaltigkeitsberater, schätzt sein Einfamilienhaus aus den 1950er Jahren. Er sagt:
„Wir müssen nützen, was wir schon haben. 90 Prozent ist doch schon gebaut! Auch in punkto Neubau ist der Aspekt Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche bei den Menschen angekommen. Gebremst wird die Euphorie von Baurecht, DIN-Normen und anderen Verordnungen. Zudem denkt und handelt die Politik zu statisch und eindimensional. Und in den Köpfen ist ein langfristiges Denken noch nicht verankert. Was vielleicht im ersten Moment teurer ist, wirkt erst Jahre später positiv auf die Kosten. Eine PV-Anlage etwa kostet zwar zunächst mehr als herkömmliche Systeme, entlastet dafür aber auf lange Sicht. Bei Neuentwicklungen gilt: Wenn schon bei der Vorplanung begonnen wird, sind die Kosten nicht höher.
Joran Szerkowski, Head of Germany ARA Europe, findet, es könnte viel mehr getan werden. Er meint:
„Mein Gefühl: Bauen im Bestand bekommt nicht genügend Wertschätzung. Das ist ein großer Fehler. ESG ist gut, aber noch in der Entwicklung. Und was Zertifizierungen betrifft: Das Thema Recycling wird viel zu wenig betrachtet. Vordergründig geht es stattdessen um Energieeffizienz bzw. mögliche Verbesserungen.
Corinna Czermak, Rechtsanwältin in der Münchner Anwaltsboutique GrothmannGeiser, berät zu ESG-Themen. Sie stellt fest:
„Das Interesse und der Beratungsbedarf im Bereich ESG sind in den letzten Monaten aufgrund des gesellschaftlichen und rechtlichen Drucks deutlich angestiegen. Unternehmen setzen sich verstärkt zum Ziel zunächst einen Überblick über das komplexe und vielfältige Themengebiet zu erhalten. Erste konkrete Umsetzungsschritte, bei denen eine externe Beratung hilfreich sein kann, sind die Schulung der Geschäftsführung und die Erstellung eines Code of Conducts.“